Bauernprotest
Ich habe am 8. Januar 2024, ich war ja zwangsläufig im Home-Office, die Bauernproteste in der Gegend und die Nachrichten dazu verfolgt. Ich finde es völlig OK, dass demonstriert wird und finde es einen großen Erfolg der Bauernverbände, dass sie so eine Masse mobilisieren konnten und ein entsprechendes Medienecho für ihre Themen geschaffen haben.
Mir sind aber trotzdem einige Gedanken durch den Kopf gegangen, die mir Sorgen bereiten:
- Warum kamen die Distanzierungen gegenüber rechtsextremen Aufrufen und Verfassungsfeinden so spät und so zögerlich? Es sollte gesellschaftlicher Konsens sein, dass man nicht mit Faschos demonstriert. Man kann, wenn man will, auch aufwändig organisierte Proteste verschieben, wenn sich Anti-Demokraten auf die Demos ankündigen. Das wurde z.B. in November 2023 getan, als sich eine antisemitische Vereinigung unter einen antifaschistischen Protest in Eisenach mischen wollte. Sowas nennt man Haltung.
- Als im November/Dezember 2023 deutschlandweit Pädagog:innen gestreikt haben, wo war da die Solidarität der Bauern, der Fuhrunternehmen oder Baufirmen? Im Gegenteil: Häufig werden Angestellte angefeindet, wenn sie für ihre Interessen (und in dem Fall auch die Interessen der Schüler:innen) streiken. Was hilft es, wenn man mit Subventionen seinen landwirtschaftlichen Betrieb in der eigenen Generation rettet, aber keine Nachfolge findet, weil das Bildungssystem an Personalmangel stirbt?
- Ich verstehe nicht, wie eine Protestform als legitim angesehen werden kann, bei der „einfache“ Menschen (in dem Fall Bauern oder zumindest Leute, die sich deren Sache zueigen machen) bestimmen, wer es wert ist, bei einer Blockade durchgelassen zu werden. Woher soll jemand wissen, wer wirklich wichtig ist? Ist es die Pflegerin aus dem Krankenhaus? Ist es der pflegende Angehörige, der zur Oma muss, um ihr Insulin zu spritzen? Ist es der Betreuer, der zu seiner geistig behinderten Klientin muss, die nicht versteht, warum man nicht kommt? Es ist anmaßend!
- Ich habe Respekt vor der Organisation und Mobilisierung bei den deutschlandweiten Protesten der Bäuerinnen und Bauern. Ich kritisiere jedoch einige der Protestformen und vor allem die demokratiefeindlichen Randerscheinungen. Kleines Beispiel? Im Holzland wurde eine Kreuzung blockiert, und die Leute hatten eine Mistgabel dabei. Ebenfalls im Holzland wurde eine Ampel an einer Art Galgen mit geführt. In Gera wurde überlegt und in Saalfeld durchgeführt, dass vor Parteibüros Mist ausgekippt wird. Wie soll in so einer Stimmung ein demokratischer Diskus möglich sein?
- Leider habe ich in den letzten Tage immer weniger die nachvollziehbaren Forderungen der Landwirte gehört, sondern mehr und mehr die unschönen Dinge drum herum. Das hilft mit Sicherheit nicht, Berufe in der Landwirtschaft für junge Menschen interessant zu machen. Für Migrant:innen gleich garnicht. Wo sollen aber die zukünftigen Mitarbeiter:innen her kommen, die auf den Feldern arbeiten? Es braucht junge Leute und Menschen, die neu zu uns gekommen sind. Aus eigener Kraft stemmt die Landwirtschaft – auch mit Subventionen – den eigenen Fachkräftemangel nicht. Es braucht ein gesellschaftliches Klima, in dem Menschen miteinander reden, statt sich anzuschreien oder anzugreifen. Es braucht eine offene Gesellschaft, die Platz für Menschen hat, die bei uns dringend gebraucht werden. Das geht nicht, wenn man (wie am 08.01.2024) auf den Straßen – gerade auch bei uns im Holzland, an einigen Stellen mehr Verschwörungsgläubige und Demokratiefeinde sieht, als Menschen aus der Landwirtschaft.